Heft 3/2010

Liebe Leser,
nun ist das Heft 3/2010 endlich da, auf das unsere verehrten Leser und Leserinnen schon länger gewartet haben. Eine der Ursachen der Verzögerung war der Aufwand für ein geplantes Sonderheft für den im letzten November in Löbau verstorbenen Karl Bernert, der einer der großen Rufer und Macher für die Erhaltung der Umgebinde-Hauslandschaft war. Aus vielen Richtungen sind uns wertvolle Materialien zugegangen, so dass der Umfang des Heftes immerhin auf 44 Seiten angewachsen ist. Die Redaktion ist von dem deutlichen anfänglichen Eindruck ausgegangen, dass Karl Bernert eine zentrale
und sehr verehrte Persönlichkeit im Umgebindeland war. Das bestätigten die zahlreichen Gespräche, welche unsere Redaktion und ich selbst mit verschiedenen Lausitzern geführt haben und letztendlich auch ihre beflügelnden Zuarbeiten zum Heft.
Aber, welch Überraschung, das Wirken von Karl Bernert ist plötzlich umstritten! Aus der allseitigen anfänglichen Energie für das Heft kam es zu verschiedenen – für uns gesehen kleinlichen – Befindlichkeiten, zu Unklarheiten, die schließlich zum Stau führten.
Die Befindlichkeiten etwas „übersetzt“ und in eine kurze klare Wortfolge gebracht heißen, Karl Bernert wird vorgeworfen, dass er sich zu DDR-Zeiten mit dem Machtapparat liiert und dadurch Vorteile gehabt hat, die anderen „Machern“, die ähnliche Anliegen vertreten haben, versagt geblieben sind.
Diese Gegenargumentationen waren – seltsamerweise in der Schlussphase - so eindringlich, dass sich die Vereinsleitung entschlossen hat, die Druckvorbereitung abzubrechen, mein Vorwort zurückzunehmen und die Kritiker im Umgebindeland zu bitten, ein besseres, ein „eigenes“ Vorwort über Karl Bernert zu verfassen.
Bis heute steht die Zuarbeit aus. Inzwischen habe ich erfahren, dass es auch nicht geschrieben werden kann…
Karl Bernert war kein Mitglied der SED. Nun, was soll man als bewusster Mensch in einem diktatorisch ausgerichteten System, wie es die DDR nun mal war, tun, wenn man auf etwas Positives und ganz Wichtiges aufmerksam machen, es vielleicht auch anschieben will? Für einen Rufer gibt es nur zwei Möglichkeiten, das Anliegen anzuzeigen, zu vertreten und möglichst kleine Erfolge zu erringen: Erstens die partielle Zusammenarbeit mit der „Macht“. Oder zweitens in deutlicher Ablehnung und kraftzehrender Auseinandersetzung mit der „Macht“, meist in einer Nische, mit größeren Risiken, aber bei einiger Zielstrebigkeit auch mit kleinen, aber enorm anzuerkennenden Erfolgen.
Welchen Weg würden Sie gehen, lieber Leser? Welchen Weg, wenn Sie aus ihrer ganzen ehrlichen Verantwortung heraus in einer äußerst komplizierten Zeit etwas Wichtiges nach außen transportieren nicht nur wollen – sondern eigentlich der Sache wegen müssen?
Arrangement mit der Macht oder Kontra? Chance auf Öffentlichkeit oder Nische?
Nicht wenige verantwortungsbewusste Menschen haben die erste Variante gewählt. Sie ist genauso legitim, solange man sich nicht an die Macht „verkauft“, wie das Wühlen im Kleinen, in der Nische. Lediglich vor den Wissenden, aber Nichtsunternehmenden bleibt, historisch gesehen, ein rhetorisches Fragezeichen stehen.
Karl Bernert hat die erste Variante gewählt. Für ihn und die Sache war es genau die richtige Entscheidung. Damit ist Karl Bernert um keinen Deut schlechter als diejenigen, die sich aus ihrer Mentalität und ihren Umständen heraus in eine konträre Nische verzogen und von dort aus gewirkt und gekämpft haben. Ein Vorwurf an Karl Bernert kann also nur aus persönlichen Gründen erfolgen. Und das wiederum ist auch völlig normal. Es gibt wohl keinen Menschen auf der Welt, dem immer alle
zu jeder Zeit zugeneigt sind.
Neben den Umgebindehäusern ist die Oberlausitz auch bekannt durch ihre besonders hartnäckig und nachtragend geführten Grabenkämpfe, durch das Austragen von Befindlichkeiten und Kleinlichkeiten von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf, oder von Instanz zu Instanz. Warum soll das gepflegte Metier des Grabenkampfes das Erscheinen eines Sonderheftes über Karl Bernert unberührt lassen?
Niemand hat mir bisher in dem widersprochen, dass Karl Bernert sich stets für das Ganze, für das Allgemeine, für die Zusammenfindung, für den Zusammenhalt eingesetzt hat. Ich persönlich denke, Karl Bernert hat hier etwas Wichtiges erkannt, etwas vorgemacht, vorgelebt. Er hat, bewusst oder unbewusst, ob es dem einen gefällt oder dem anderen nicht, damit ein Vermächtnis hinterlassen. Ein Vermächtnis an die Oberlausitzer, einen ideellen Ruf, zusammen-zu-rücken, zusammen-zuarbeiten, zusammen-etwas-zu-bewegen. Für ihre Umgebindeheimat.
In den letzten Wochen suchte ein verheerendes Hochwasser unter anderem auch die Neißegegend heim. Viele Umgebindehäuser hier und da der Grenze, ja ganze Ortschaften sind nun durch endgültige Zerstörung durch den Menschen bedroht. Die allgemeine Unterstützung des Katastrophengebietes hält sich – nicht wie beim Hochwasser der Elbe 2002 – in engeren Grenzen. Hingegen enorm sind die aufopferungsvollen Einzelinitiativen, aber alles eben Einzelinitiativen – die
allerdings – Entschuldigung, wenn ich es so deutlich ausdrücke – auch in ihren gewohnten engen Grenzen bleiben werden.
Ich erlaube mir jetzt und gerade an dieser Stelle folgenden, vielleicht nicht gleich allseits verständlichen Gedankensprung: WAS WÄRE DAS UMGEBINDELAND IN DIESER SITUATION, WENN ES WELTKULTURERBE WÄRE…?
Zumindest die genannten engen Grenzen wären deutlich weiter nach außen verschoben – und damit sind wir schlicht und ergreifend wieder bei Karl Bernert, liebe Leserin, lieber Leser. Verstehen Sie mich nun, warum ich als Außenstehender Karl Bernert als eine gewisse Symbolfigur für das sich tragisch immer weiter zersplitternde Umgebindeland ansehe?

25.09.2010,  Manfred Hammer

Lesen Sie außerdem in diesem Heft folgende Beiträge:
Hans-Martin Fröhner „Bauernhofbilder aus Sachsens Kornkammer – Ein Ausstellungskatalog“,
Manfred Schober „Der Dorfbach“,
Dr. Andreas Christl „Die Satzunger Gänsetreiber“,
Benno Kolbe „Schandfleck oder wichtiger Teil des Ortsbildes“,
Dr. Herbert Helbig „Dorfschulen zwischen Tharandt und Kreischa – Die fünf Schulen von Bannewitz“
Rudolf Priemer „Das Pfarr-Auszugshaus in Köhra“,
Dr. Wolfgang Reimer „Vom Wesen des Natursteins im ländlichen Raum (2) – Nordsachsen Eiszeitliche Geschiebe und Erratika“
Aufzeichnungen, ausgewählt von Heinz Wagner „Witterungsgeschichte, Teuerung und strenge Winter“
und Gedanken über Denkmalpflege und Pseudodenkmalpflege.

   
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